Mele Mel: "Hip Hop heute ist mehr wirklich Hip Hop, sondern kommerzieller Rap"

Kurtis, Du bist der erste MC überhaupt, der weltweit Erfolg hatte. Wie war das damals für Dich?Kurtis: Es war eine Gabe Gottes und ich sage „Gott sei Dank“. Das Reisen in verschiedene Städte, die ganzen Kameras und die Tatsache dass ich der erste war, der aus dem Ghetto, aus Harlem, kommt und es geschafft hat, war total neu und faszinierend. Ich war damals ja erst 19! So muss sich ein Fisch fühlen, der zum ersten Mal aus dem Wasser kommt. Es war die beste Zeit meines Lebens!
Ihr seid ja quasi Legenden für eine gesamte Jugendkultur. Was für ein Feeling ist das?
Master Gee: Es ist ein sehr gutes Gefühl zu wissen, dass man etwas verändert hat und eine neue Form des Ausdrucks geschaffen hat.
Mele Mel: Ich schließ mich da an. Für jemanden der aus Bronx kommt, ist das schon toll, wenn man etwas mitkreiert hat, wo heute viel Geld mit verdient wird und sooo viele Leute involviert sind. Wenn Du Dir andere Genres anguckst, dann leben die meisten, die das kreiert haben, gar nicht mehr. Aber beim Rap sind fast alle noch am Leben und das macht das Ganze so wichtig!
Glaubt ihr, dass man die Hip Hop-Kultur in irgendeiner Form als Weiterentwicklung der Civil Rights Movements der 1960er ansehen kann?
Kurtis: Definitiv! Und wenn es in den letzten 30 Jahren der HipHop-Kultur nicht so war, dann wird es auf jeden Fall in näherer Zukunft so sein.
Mele Mel: Menschen hatten nicht das Recht zu wählen oder dort zu essen, wo sie wollten. Malcom X, Martin Luther King und andere haben da etwas verändert. Ich denke, was HipHop für junge Menschen getan hat, ist, dass ihnen eine Stimme gegeben wurde. Sie können sagen, was sie sagen möchten. Das ist zwar nicht immer gut, aber sie haben eben jetzt durch Hip Hop die Möglichkeit sich mitzuteilen und überall in der Welt gehört zu werden.
Kurtis: Da habe ich auch ein gutes Beispiel! 2001 war ich im Mittleren Osten und habe dort 20 Shows gemacht. In Pakistan habe ich mich mit einem Wachmann unterhalten und der hat mir von einer Rap-Crew aus Palästina erzählt. Diese Gruppe, die Texte über ihre Leute und deren Notlage rappt, ist eine der meistgespielten Gruppen in Israel. Das ist die Macht von HipHop!
Es ist ja auch eine Form von weltweiter Kommunikation unter Jugendlichen.
Kurtis: Ja, aber es kann auch das Gegenteil da sein. Ich habe kürzlich gehört, dass es auch Skinheads gibt die rappen.
Master Gee: Das ist immer das Problem, wenn etwas so öffentlich ist. Es kann von jedem verwendet werden, der dazu Zugang hat.
Was denkt ihr über die Situation von HipHop heute? Viele Jugendliche wissen ja gar nichts mehr über die Anfänge, obwohl sie sich mit der Kultur identifizieren.

Hip Hop könnte ja auch durchaus als pädagogisches Hilfsmittel eingesetzt werden. Was haltet ihr davon, wenn Lehrer diese Kultur nutzen um Jugendliche zum Lernen zu bringen?

Kurtis: Ich habe auch zwei sehr gute Beispiele dafür, dass das funktioniert! In Amerika gibt’s zum Beispiel einen Mathe-Lehrer, der Matheformeln in Rap-Form unterrichtet. In einem Test müssen die Kids dann diesen Rap präsentieren. Die Schüler denken natürlich „Oh, ich werde im Rappen getestet!“. Eigentlich geht es aber um den Inhalt, den sie sich automatisch aneignen. Und dann gibt’s da noch eine Middle School in Queens, welche auch Russel Simmons besuchte. Diese Schule hatte eine Zeit lang einen ziemlich schlechten Ruf, da dort viele Gangs waren und die Eltern sich nicht um die Kinder gekümmert haben. Aber dann kam da ein Schulleiter, der das ganze Schulkonzept so verändert hat, dass er Rap und Hip Hop mit eingebracht hat. Heute machen die Kids da CDs und drehen Videos. Sie sind stolz auf ihre Schule, weil es die „HipHop Schule“ ist und wenn man sich gut benimmt wird man Teil der Crew, die rappt. Diese Schule ist nun so effektiv, dass 80-90 % der Schüler das nächste Schullevel erreichen. Die Lehrer rappen dort sowohl im Mathe als auch im Geschichtsunterricht, ebenso wie in anderen Fächern. So lernen die Kinder viel besser und vor allem leichter. Und das in einer Schule, die von Gangs beherrscht wurde. Das ist der Beweis, dass es positiv ist, die Hip Hop-Kultur in den Unterricht mit einzubinden.
Man kann ja auch wirklich alle Elemente der Kultur in den Unterricht einbeziehen...

Kurtis: Theodore unterrichtet übrigens auch.
Theodore: Ja, Jam Master Jay – Gott segne ihn! – hat vor seinem Tod die Scratch Academy gegründet. Wir unterrichten dort das DJing, also wie man richtig mit den Turntables umgeht und das ganze Drumherum. Jeder kann zu uns kommen. Möchtest Du DJane werden? Wir unterrichten Dich! (er schmunzelt) Das ist keine HipHop-Schule, sondern eine Musikschule für verschiedene Musikrichtungen. Viele DJ-Champions haben bei uns gelernt, zum Beispiel DJ A-Trak, der Tour-DJ von Kanye West… Ich bin sehr glücklich Teil von etwas zu sein, das größer ist als ich!
Ihr habt gemeinsam ein Album aufgenommen. Könnt Ihr mir da noch etwas mehr darüber erzählen?
Kurtis: Ja, die CD heißt „The Big 3“ und ist von uns gemeinsam produziert worden, also ein komplett neues Album. Wir haben auf der einen Seite ein paar von unseren Oldschool-Klassikern drauf, denn in der HipHop-Geschichte stammten die ersten drei großen Rap-Songs von uns, nämlich „Rapper’s Delight“ von der Sugarhill Gang, „The Breaks“ von mir und „The Message“ von Mele Mel und den Furious Five. Das ist nicht von der Hand zu weisen, sondern die absolute Wahrheit! Neben den Klassikern sind aber auch acht oder neun brandneue Songs von uns allen drauf, zum Beispiel der „Myspace-Song“. Das ist ein echt cooler Track!
Ich muss ja ehrlich sagen, dass ich etwas überrascht war, als ich mitbekommen habe, dass Ihr alle gemeinsam an einem Strang zieht, denn gerade die Sugarhill Gang hatte damals oft eher einen schlechten Ruf in der Szene, oder?
Master Gee: Ja richtig, aber wie Du siehst, sind wir eine Familie. Wir kommen zwar aus unterschiedlichen Gegenden, aber wir machen das Gleiche. Natürlich gab’s da mal eine Kluft zwischen uns, allein weil wir aus Jersey kamen und die anderen aus New York, aber die verschwand immer mehr, je älter wir wurden, denn wir haben so viele Gemeinsamkeiten. Wir haben das gleiche Talent, wir haben die gleichen Ideale und wollen dasselbe, wir sind alle Eltern und wir haben das gleiche Level. Es ist schade, dass so oft so schlecht über uns geschrieben wird.
Ihr alle wart ja in den letzten Jahren auch nicht untätig. Mele, Du hast ja nicht nur im letzten Jahr ein Solo-Album rausgebracht…
Mele: Ja, das „Muscles“-Album. Ein gutes Album!
Dem kann ich nur zustimmen! Du hast aber auch ein Kinderbuch geschrieben, richtig?
Mele: Ja, zusammen mit Maura Casey. Es heißt „The Portal In The Park“ und ist eine Art Selbsthilfe-Buch. Wir arbeiten ja auch mit Schulen zusammen und lehren die Kids dort gute körperliche Fitness, weil viele da zum Beispiel Probleme mit der richtigen Ernährung haben oder Lernschwierigkeiten. Das Buch soll den Kindern helfen, zu lernen wer sie sind, ihre Emotionen zu verstehen und das Richtige zu tun. Das ist auch eine Sache des Hip Hops: wir müssen ein Auge auf die Kinder haben. Es gibt Musik, die sie zum Tanzen bringt und ihnen auch viel Negatives mitgibt, aber es gibt kaum jemanden da draußen, der sagt: “Geht zur Schule, handelt richtig, denkt über das nach, was ihr tut!“ Das ist aber das, was wir gerne tun. Wir wollen den Kontakt zu den Kids herstellen und ihnen so eine neue Chance geben.
Kurtis, von Dir hab ich gehört, dass Du Theologie studiert hast und bei den Hip Hop Churches tätig bist. Was ist das genau?
Kurtis: Ja, ich bin unter anderem Pastor. Die HipHop Churches haben alle verschiedenen christlichen Religionen als Basis und das grundlegende Konzept ist dazu da, um die Kids in die Kirchen zu bringen. Wir lehren sie etwas über Jesus und die Bibel und das alles in einer Sprache, die sie verstehen, nämlich in der Sprache von HipHop. Es sind die Inhalte der Bibel, aber sie werden eben in moderner Form vermittelt.
Wo wir grad beim Thema Kirche sind: was denkst Du denn über Menschen, die im Namen Gottes in den Krieg ziehen?
Master Gee: Du kannst nicht sagen „Gott hat mir befohlen zu töten“! Jeder ist für das was er tut selbst verantwortlich!
Kurtis: Ich könnte Dir zu diesem Thema eine ganze Stunde lang was erzählen. Das steht ja alles in der Bibel. Sie haben Jesus getötet und da ist so viel die Rede von Eroberungen, Mord und Menschen, die anderen das Land wegnehmen. Päpste haben im Namen Gottes Eroberungen vorgenommen und Menschen anderer Religionen verfolgt. Aber es gab da ja einen Deutschen, der dagegen anging: Martin Luther!
Ist es für Dich dann nachvollziehbar, dass es Menschen gibt, die deshalb auch sagen: „Ich glaube nicht an Gott!“?

Das war ein schönes Schlusswort!
Master Gee: Ja, das finde ich auch. Unser Kurtis ist ein echtes Genie! (Alle lachen)
Fotos und Interview: Kiki Schmalstieg
delight to your ears - 16. Sep, 18:54